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Religion m(M)acht Demokratie

Zum sechsten Mal hat die Christliche-Islamische Tagung zum Pfingstfest in Nordwalde (NRW) stattgefunden. Das Thema brachte es auf den Punkt: Wie sehen sich religiöse Menschen im Spannungsfeld zwischen Religion und der sie umgebenden politischen Situation?



Bild: Pfarrer Johannes Stein und Schech Bashir zusammen auf der Tagung

Geht es um das Thema Macht, sagt der fromme Muslim oder die fromme Muslima am liebsten la haulah wa la quwwata illa bil-Lahi-l-azim – es gibt weder Kraft noch Stärke außer bei Gott dem Allmächtigen. Das stimmt in der Absolutheit immer, hier jedoch in unserer zeitlich wie räumlich begrenzten Dimension haben wir es oft mit ganz profanen Ausdrücken der Macht zu tun.

Die Christliche-Islamische Tagung fand bis 2003 im Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf am Rhein statt, danach in der Evangelischen Akademie in Arnoldshain und ab dem Jahr 2009 in Nordwalde in der Nähe von Rheine, bei Münster. Veranstaltet wird sie von der Deutschen Muslim-Liga Bonn e.V. (DML Bonn CC), dem Bendorfer Forum, dem Institut für Kirche und Gesellschaft und dem Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe e.V.

Prof. Dr. Josef Freise von der Katholischen Akademie Nordrhein-Westfalen hielt einen profunden Vortrag aus der Sicht, dass Religion dialogfähig sein müsse und folgte dem Modell nach Talcot Parsons, der den Menschen in einem gesellschaftlichen Beziehungsgeflecht verortete, das sich aus wirtschaftlichen, strategischen (wie kann ich mein Zeile erreichen?), Beziehungen in Gemeinschaft und Kultur sowie der Religion zusammenfindet. Einzig die Religion gibt hier Antworten nach dem Sinn des Lebens – und das aus der Sicht der Liebe. Freise stellte Beispiele aus der Moderne auf, die trotz ihres Wissens um die Bedrohtheit ihres eigenen Lebens die Frage des Seins jenseits nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und eigenen Vorteilen beantworteten: Martin Luther King, Nelson Mandela und viele andere.

Macht und Denkverbot

Auch wurde die Frage erörtert, ob sich der deutsche Staat in Sachen Religionsausübung und der Tolerierung religiöser Symbole in Richtung säkularer oder doch mehr laizistischer Staat bewege. Ein Mittelweg wäre hier wünschenswert. Übereinstimmend stellten die Teilnehmer in ihren Wortbeiträgen fest, dass sich Religion von Macht fernhalten solle, da die Nähe selbst zu selbstauferlegten Denkverboten führen könne. Siehe die geistigen Beschränkungen zur Zeit von 1933 bis 1945 oder im Anschluss von 1949 bis 1989 in der ehemaligen DDR.

Wie immer bei interreligiösen Tagungen kam auch die Frage nach dem innerislamischen Dialog auf. Viele Vereine und Verbände sind sich nach wie vor der immensen Bedeutung des Dialoges auch mit den mehr orthodoxen oder jenseits des Orthodoxen stehenden  Richtungen im Islam bewusst, müssten jedoch im Zuge dessen Konflikte mit den Behörden befürchten, weshalb dieses wichtige Thema unbearbeitet bleibe, so Schech Bashir Ahmad Dultz vom DML Bonn CC

Zinsnehmende Banker vom Abendmahl ausgeschlossen

Ende des 16. Jahrhunderts im Genf von Johannes Calvin waren zinsnehmende Banker nicht zum Abendmahl zugelassen. Denn unproduktives Kapital galt als unehrenhaftes Gewerbe. Wilhelm Sabri Hoffmann, Vorsitzender der Christlich-Islamischen Gesellschaft e.V. verwies in einem Wortbeitrag zur Predigt von KAB Bundespräses Pfarrer Johannes Stein, dass Calvinisten, denen in der Tat eine protestantische Arbeitsethik nachgesagt wurde, sich dabei auf Jesaja 5 (16b-23) beriefen: „Sie bauen Häuser, in denen sie selber wohnen, sie werden Reben pflanzen und selbst ihre Früchte genießen. Sie bauen nicht, damit ein anderer in ihrem Haus wohnt…“ usw. Schon zur Zeit der Propheten sehen wir also eine eindeutige Abkehr von Immobilienspekulationen, überzogenen Steuern und entehrender Lohnarbeit. Die ungleiche und einseitige Verteilung der Vermögen in den Demokratien werde von großen Teilen der Bevölkerung als Bedrohung für die Demokratie empfunden.

Ein Nachdenken zu wirtschaftlichen Alternativen bietet hier der islamische Ansatz zu offenem Handel und offenen Märkten. Flüchtlingsströme sind unter den gegenwärtigen Bedingungen von zerstörten Märkten in Afrika zum Beispiel eine logische Folge der bekannten EU-Subventionen für europäische Firmen und in der Landwirtschaft.

Köper, Geist und Seele

Aber die Tagung zeichnet sich dadurch aus, intellektuelle und spirituelle aber auch den Körper durch Bewegung und Tanz in die Erfahrung mitzunehmen. Tanzpädagogin und Erziehungswissenschaftlerin Chadigah Kissel, Bonn, dazu: „Ich glaube nicht, dass Dialog zwischen Menschen als ganzheitliche Wesen nur über den Kopf funktionieren kann. Es ist schön, wenn sich Menschen gegenseitig zu ihren Gottesdiensten einladen und dort Gast sind. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten in verschieden konzipierten Dialogtagungen die positive Erfahrung gemacht, die Emotionalität durch Musik und auch den Körper – wie in der Meditation des Lichtes im Tanz – am gemeinsamen Erleben teilhaben zu lassen.”

Viel Schwung und Begeisterung brachten die fünf Teilnehmer des Berliner Vereins Juga ein. Jung – gläubig und aktiv. Sie stellten ihre neuesten Videos zur Peers-Ausbildung für interreligiöse Kompetenz vor und ihren Song – geradezu ein Ohrwurm – „Sweet Coco“ / Sweet Coexistance.

Von: Taufiq Mempel

Erschienen bei DTJ-Online am 15. Juni 2014